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Entwurf der EU-Produkthaftungsrichtlinie

Stellungnahme des Herstellerverband Haus & Garten e.V. zum Entwurf der Europäischen Kommission über die Haftung für fehlerhafte Produkte

Der durch die Europäische Kommission am 28.9.2022 vorgelegte Vorschlag eines neuen Haftungsrahmens für die Produkthaftung, durch den auch die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EEC geändert wird, vermag in der aktuellen Version nicht zu überzeugen. Er birgt für die Hersteller erhebliche Risiken und stellt eine negative Abweichung vom Status quo dar.

Entgegen S. 6 der Entwurfsbegründung der Kommission wahrt der vorliegende Entwurf nicht die Balance zwischen den Interessen der Verbraucher und der Hersteller. Der Entwurf der Kommission zielt allein darauf ab, den Verbraucherschutz in der EU zu stärken (vgl. etwa Erwägungsgrund 30). Dies zulasten der Industrie. Der vorgelegte Entwurf sieht keinerlei Entlastungen zugunsten der Hersteller vor, allein Verstärkungen der Haftung. Es bedarf daher einer Überarbeitung des Entwurfs.

Für uns als Herstellerverband Haus & Garten e.V. und unsere Mitgliedsunternehmen ist die Wahrung des Verbraucherschutzes ein wichtiges Anliegen. Auch begrüßen wir den Fokus der EU-Regeln auf das digitale Zeitalter und die Modernisierung des Binnenmarktes. Regeln für den Markt müssen im Einklang stehen mit dem Verbraucherschutz, gleichzeitig aber auch die Interessen der Hersteller von Produkten – also der Industrie – wahren. Eine Gleichstellung von Fulfillment-Dienstleistern, Bevollmächtigten und Herstellern ist mit Blick auf die globalen Lieferketten und daraus entstehende etwaige internationale Wettbewerbsverzerrungen zu begrüßen. Unsere Kritik gründet insbesondere auf den folgenden Kritikpunkten:

Art. 8 des Entwurfs
Die „disclosure of evidence“ ist aus verschiedenen Gründen mehr als kritisch zu beurteilen. Mag die „disclosure obligation“ im anglo-amerikanischen Recht bekannt und erprobt sein, so ist dies im hiesigen nationalen Recht nicht. Sie ist dem deutschen Zivilprozessrecht fremd. Die im nationalen Prozessrecht befindlichen Möglichkeiten zur Herausgabe von Dokumenten im laufenden Verfahren etwa in den §§142 ff. ZPO sind umfassend und sollten bestehen bleiben. Eine Verschiebung zugunsten der Anspruchsteller stellt für die Hersteller eine unzumutbare Belastung dar, dies insbesondere mit Blick auf die Geschäftsgeheimnisse. Die aus dem anglo-amerikanischen Recht bekannte disclosure könnte die umfassende Offenlegung der verschiedensten – auch digitalen – Dokumente begründen. In der Praxis wird sie zu erheblichen Herausforderungen im Rahmen der Dokumentation der Produktentwicklung- und Herstellung führen.

Die im Rahmen von Art. 8 des Entwurfs vorgesehenen Abwägungen und Berücksichtigungen vertraulicher Informationen und Geschäftsgeheimnisse geht nicht weit genug. Die Herausgabepflicht besteht prinzipiell auch, wenn Geschäftsgeheimnisse berührt sind. Hier ist nach Art. 8 Abs. 4 lediglich eine restriktive Behandlung durch die jeweiligen Gerichte vorgesehen. Es scheint als reiche grundsätzlich der schlüssige Sachvortrag des Anspruchstellers für die Begründung des Herausgabeanspruchs aus. Basierend auf diesem schlüssigen Vortrag könnten Unternehmen verpflichtet sein, sensible oder dem Geschäftsgeheimnis unterliegende Dokumente herauszugeben. Ebenso birgt die den
jeweiligen Mitgliedsländern überlassene konkrete Regelung das Risiko unterschiedlicher Ausgestaltungen. Nuancen reichen hierbei aus, um ein „equal playing field“ auf dem Binnenmarkt zu gefährden. Das Geschäftsgeheimnis ist eines der wichtigsten Aspekte jedes Unternehmens. Konstruktionsunterlagen, Patentunterlagen und technische Dokumente fallen hier drunter. Oftmals enthalten diese Dokumente auch die Kontaktdaten von Zulieferern und weiteren Partnern. Für eine Bewertung der Dokumente ist vermehrt besonderes Fachwissen nötig. Es bedarf daher dringend eines objektiven Dritten in Form von Trustee oder Sachverständigen, die eine Bewertung vornehmen und die Dokumente anschließend weiterleiten. Dokumente dürfen in keinen Fall direkt vom Gericht an die Anspruchsteller weitergeleitet werden.

Unseres Erachtens erhöht die in Artikel 8 vorgesehene Herausgabepflicht den Prozessaufwand erheblich und führt gerade nicht zu einer effizienteren und vereinfachten Prozessführung. Es erscheint zudem fraglich, ob der Anspruchsteller die oftmals komplexen und technischen Dokumente entschlüsseln kann oder nicht etwa selbst auch externe Sachverständige benötigt, was die Prozesskosten erneut steigen lassen würde. Die anfallenden Kostensteigerungen sind sowohl für Hersteller als auch Anspruchsteller kritisch zu bewerten, dies insbesondere auch in Bezug auf die Streitwertdeckelung im aktuellen Entwurf der Verbandsklage.

Ebenso gilt es zu bedenken, dass die mit der Erweiterung der Produkthaftung einbezogenen Fulfillment-Dienstleister und Bevollmächtigte häufig nicht über relevante Konstruktionsunterlagen oder technischen Dokumente verfügen, da diese häufig bei den jeweiligen Herstellern in Fernost verbleiben.

Durch den hiesigen Entwurf kommt auf die Unternehmen eine stärkere und kleinteilige Dokumentationspflicht zu, um den Ansprüchen entgegentreten zu können. Durch die aktuellen Lieferschwierigkeiten müssen Hersteller vermehrt Anpassungen bei der Produktion, etwa durch den Einsatz von Ersatzkomponenten und Ersatzteilen vornehmen. Dies macht eine kleinteilige Dokumentation für Hersteller umso aufwändiger.

Auch werden die Versicherungsgeber Ihre Risiken bei einer Schärfung der Produkthaftung monetär absichern, die Kosten für die Hersteller daher auch hier steigen. Eine Anpassung der Produkthaftung in der aktuellen Lage würde die Situation der Unternehmen somit weiter verschärfen.

Sofern an der „disclosure of evidence“ festgehalten werden soll, bedarf es daher dringender Anpassungen. Wir als Herstellerverband plädieren dafür, ein schlüssig und nachvollziehbar dargelegte Geschäftsgeheimnis als Ausschlussgrund für einen Herausgabeanspruch in Artikel 8 aufzunehmen. Sollte dies nicht erfolgen, muss für die Beurteilung der herauszugebenen Dokumente ein Trustee in Form eines Sachverständigen oder einer weiteren unabhängigen Stelle zur Sichtung und Bewertung der Dokumente vorgesehen werden. Der Trustee sollte über das notwendige Fachwissen verfügen. Eine solche Einbeziehungspflicht müsste in Art. 8 aufgenommen werden.

Art. 9 des Entwurfs
Bisher galt im Rahmen der verschuldensunabhängigen Produkthaftung nach Art. 4 der RL 85/374/EWG eine Beweispflicht des Anspruchstellers für Produktfehler, Schaden und die Kausalität von Schaden und defektem Produkt. Durch die in Art. 9 Abs. 3 des Entwurfs vorgesehenen Vermutung des Kausalzusammenhangs wird dieser Grundsatz außer Kraft gesetzt. Eine Beweispflicht des Anspruchstellers wäre damit insgesamt obsolet, wenn der Schaden typischerweise vereinbar ist mit dem Defekt des Produktes. Dies geht nicht mit dem Ziel des Entwurfs einher, die Beweislast fairer zwischen Hersteller und Anspruchsteller zu verteilen (vgl. S. 6,10 der Begründung). Zwar handelt es sich nicht um eine Beweislastumkehr, die Vermutung selbst setzt Hersteller aber einem höheren Haftungsrisiko aus. Zudem obliegt ihm die Exkulpation. Im Falle dessen, dass der Hersteller Dokumente entsprechend Art. 8 Abs. 1 nicht herausgibt, würde nach Art. 9 Abs. 2a) zudem zugunsten der Hersteller die Fehlerhaftigkeit des Produktes vermutet werden. In diesem Fall hätte der Anspruchsteller lediglich einen Schaden nachzuweisen. Diese Vermutung macht es erheblicher leichter Ansprüche zu stellen und wird die Verfahrensmasse erhöhen.

Die Vermutung der Kausalität in Art. 9 Abs. 3 sollte daher gestrichen und bei der regulären Beweislast durch den Anspruchsteller verblieben werden. Ebenso kann Art.9 Abs. 2 a) nur bestehen bleiben, wenn in Artikel 8 das Geschäftsgeheimnis als gesonderter Ausschlussgrund für die Herausgabe aufgenommen wird.

Hier können Sie sich die gesamte Pressemeldung als PDF-Dokument herunterladen: Stellungnahme zum Entwurf der EU-Produkthaftungsrichtlinie